Diese Anklageschrift liest sich wie das Drehbuch eines Hollywood-Blockbuster. Zwei Männer locken ihr Opfer mit einer List in die Falle. Es geht um Immobilien, einen vermeintlichen Erbanspruch und 2,65 Millionen Franken. Einer der mutmasslichen Täter steht am Donnerstag in Zürich vor Gericht.
Am Anfang steht ein Telefonanruf und der Name «Jidl Greenzweig». Ein falscher Name, wie sich herausstellen sollte. Aber diesen Namen nennt im Februar 2021 ein Anrufer dem späteren Entführungsopfer. Dieses lebt in Zürich und ist hier Teil der jüdischen Gemeinde. Der Anrufer gibt an, er wohne in Toronto und wolle sich in der Schweiz eine Immobilie kaufen, wobei er Unterstützung brauche.
Die Männer vereinbaren, das Haus in der Innerschweiz am 18. Februar 2021 gemeinsam zu besichtigen. An dem Tag treffen sich die Männer bei der Synagoge in Zürich, kaufen sich bei einer nahgelegenen Bäckerei ein Frühstück und fahren dann in Richtung Luzern. Knapp eine Stunde später treffen sie beim besagten Haus ein.
Doch dort wird dem Mann aus Zürich schnell klar: Man hat ihn in eine Falle gelockt. Im Haus wird er bereits von einer Person erwartet. Sie trägt einen Helm, schwarze Handschuhe und in der Hand ein blaues Fischernetz. Unvermittelt schlägt sie mit der Faust zu, mitten ins Gesicht des Mannes. Er geht zu Boden, wehrt sich gegen die Fesselversuche mit dem Netz. Er gibt seinen Widerstand erst auf, als ihm die Person droht, er käme nur gesund nach Hause, wenn er sich nicht weiter wehren würde.
Entführungsopfer erlebt Todesängste
Die Person mit dem Helm fesselt den Mann mit Kabelbinder, verbindet ihm die Augen und setzt ihn in einen Sessel. Laut der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl werden seine Beine und Arme fixiert. Dann hält der Unbekannte seinem Opfer ein Telefon ans Ohr.
Am anderen Ende der Leitung meldet sich eine männliche Stimme, die teilweise jiddisch, teilweise hebräisch spricht. Sie sagt, sie habe den Geschädigten nun seit zwei Monaten beobachtet und professionelle Leute geschickt. Er glaube an die Sprache des Stärkeren und fordere ihn auf, bis am 21. April 2,65 Millionen Franken zu überweisen. Der Mann am Telefon sagt seinem Opfer zudem: Er solle nicht mehr mit seiner Familie sprechen, sonst würden ihm die engagierten Profis vor Ort Lippen und Zunge abschneiden. Diese Drohungen versetzen den Gefesselten in Todesangst, wie er später bei den Zürcher Untersuchungsbehörden aussagt. Deshalb sagt er schliesslich zu, das Geld zu überweisen.
Anrufer macht Erbanspruch geltend
Die mutmasslichen Täter bringen ihn darauf mit gefesselten Händen und verbundenen Augen aus dem Haus. Sie fahren den Mann zurück nach Zürich und lassen ihn kurz vor Mittag beim Hallenbad City aussteigen. «Aufgrund des Vorfalles erlitt der Geschädigte einen Nasenbeinbruch, den Bruch von zwei Rippen sowie Schürfungen und Blutergüsse im Gesicht, am Oberkörper und am Fuss», fasst die Zürcher Staatsanwaltschaft die Verletzungen des Entführungsopfers zusammen.

Bild: Google maps.
Als mögliches Motiv gibt sie in der Anklageschrift an: Der Mann am Telefon mache einen Erbanspruch seines verstorbenen Vaters an einer Liegenschaft im Kanton Zürich geltend. Und genau diese Liegenschaft wird durch die Firma betreut, in der sein Entführungsopfer angestellt ist.
Am Donnerstag steht nun jener Mann vor Gericht, der das Opfer mit falschem Namen in die Falle lockte. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt den 44-jährigen gebürtigen New Yorker der Freiheitsberaubung, der Entführung, der Erpressung sowie der einfachen Körperverletzung. Die Untersuchungsbehörde fordert eine Freiheitsstrafe von drei Jahren, wovon 15 Monate unbedingt ausgesprochen werden sollen. Zudem soll der Mann für zehn Jahreli des Landes verwiesen werden. Er befindet sich seit dem 3. November im vorzeitigen Strafvollzug.
Gegen den Mann am Telefon führt die Zürcher Staatsanwaltschaft ein separates Verfahren.