Nach einem Schlaganfall ist ein 87-jähriger Zürcher in schlechtem Zustand. Ihren Vater so leiden zu sehen, kann die 59-jährige Tochter kaum ertragen. Vor einem Spitalbesuch fasst sie einen tragischen Entschluss.

Im Februar 2018 liegt Paul Konrad* im Zürcher Stadtspital Triemli auf der Intensivstation. Der 87-jährige demente Mann hat vor wenigen Tagen einen  Schlaganfall erlitten. Gesundheitlich geht es dem Patienten sehr schlecht, er kann kaum essen und trinken, ohne sich zu verschlucken.

Paul Konrads Zustand macht seiner Familie schwer zu schaffen. Vor allem die Tochter kann kaum zusehen, wie ihr Vater leidet. Sie glaubt, dass ihm durch den Schlaganfall auch noch seine letzte Freude, das genussvolle Essen, genommen worden ist. 

Die Frau, die im Kanton Aargau wohnt, fasst deshalb einen Entschluss. Sie packt eine Einweg-Kunststoffspritze in ihre Jackentasche und macht sich auf den Weg ins Spital, ins Zimmer 100 des Zürcher Triemli. Sie beobachtet ihren Vater, der im Spitalbett liegt. Er schläft, doch sein Leiden sei ihm auch so deutlich anzusehen gewesen, wie sie es später den Untersuchungsbehörden schildert.

Das Stadtspital Triemli in Zürich
Bild: Triemli

Luft in der Vene sollte Embolie auslösen

Die Frau nimmt die Spritze aus der Tasche und tritt ans Bett ihres Vaters. Sie öffnet den Verschlussdeckel des Venenkatheters in seinem Arm und setzt die Spritze an. Das Ziel der Tochter: Sie will Luft in die Vene spritzen und damit eine Embolie und so letztlich den Tod ihres Vaters herbeiführen. 

Doch die Tochter kann ihre Tat nicht vollenden, wie die Zürcher Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift schreibt. «Sie brach dieses Vorhaben ab, weil Mitarbeiterinnen des Spitals intervenierten», heisst es in den Unterlagen. Danach habe die Frau die Spritze wieder in ihre Tasche gesteckt.

Gemäss Strafuntersuchungsbehörden hat der Vater den Vorfall überlebt und keinen Schaden davongetragen. Einen Monat später stirbt der 87-jährige Mann krankheitsbedingt in einem Pflegeheim. 

Gericht weist Verfahren zurück

Die Tochter musste sich bereits vor einem Jahr, im April 2019, vor dem Zürcher Bezirksgericht wegen versuchter vorsätzlicher Tötung verantworten. Die Staatsanwaltschaft forderte damals, im abgekürzten Verfahren, eine bedingte Gefängnisstrafe von zwei Jahren.

Das Gericht kam damals allerdings zu keinem Urteil. Es wies den Fall an die Staatsanwaltschaft zurück. Die Begründung: Die Untersuchungsbehörde habe ein ordentliches Verfahren zu führen, was eine intensivere Befragung der Augenzeugen sowie Spitalangestellten verlange. Dass die Frau nicht ins Gefängnis gehöre, das war aber auch dem Gericht klar. Es forderte eine milderte Anklage. So zitierte der «Tages-Anzeiger» die Gerichtspräsidentin: «Hier wurde falsch angeklagt». So müsse der Fall mehr zugunsten der Beschuldigten gewichtet werden.

Am Montag kam der Fall nun erneut vor das Bezirksgericht. Eine Überraschung war die Anklageschrift der Zürcher Staatsanwaltschaft für schwere Gewaltkriminalität vom letzten November. Sie beinhaltet nämlich die genau gleichen Anträge, wie vor einem Jahr. Erneut klagte die Untersuchungsbehörde die Beschuldigte wegen versuchter vorsätzlicher Tötung an. Als Strafe forderte sie erneut eine bedingte Gefängnisstrafe von zwei Jahren.

Das Gericht verurteilte die Frau am Montag zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten, wie vom Staatsanwalt gefordert, allerdings wegen versuchtem Totschlag. «Aktive Sterbehilfe ist strafbar», begründete der vorsitzende Richter das Urteil gegenüber 20 Minuten. Sie habe aber in entschuldbarer seelischer Belastung gehandelt.

  • Name der Redaktion bekannt