Für Flüchtlinge birgt sie eine tödliche Gefahr. Die Fahrt in einem überladenen Boot von Tunesien nach Lampedusa. Nur selten befinden sich unter den Flüchtenden junge Frauen. Umso irritierender sind die Bilder, die Sabee S.* auf ihren Social Media-Kanälen postet. Sie sind wie für ein Modemagazin bestimmt: Vom perfekten Make-up bis zu sorgfältig aufgesetzten Fingernägeln. Doch nichts deutete auf die lebensbedrohliche Situation hin. 

Ganz im Gegenteil: Sabee S. hat die Überquerung des Mittelmeers in modischer Eleganz geschafft, ihr iPhone stets zur Hand, sodass ihre Fans die Fahrt fast in Echtzeit miterleben konnten. Eine Art Reality-Show oder doch Reality-Soap? 

Ob die Geschichte stimmt oder nur eine Inszenierung ist, kann nicht abschliessend beantwortet werden. Vieles spricht aber dafür, dass sie tatsächlich so stattgefunden hat. Sabee S. hat Bilder und Videos aus dem Aufnahme- und Registrierungszentrum veröffentlicht, auf denen ihre Bootskumpanen und das Registrierungsformular, das sie bei der Ankunft ausfüllen mussten, zu sehen sind. Es sind Stellen die auch viele Flüchtlinge durchlaufen, die schliesslich bis in die Schweiz gelangen.

In Sachen Asylverfahren ist Italien das wichtigste Land für die Schweiz. Der grösste Teil der Flüchtlinge, die hierzulande ein Asylgesuch stellen, reiste zuerst durch Italien oder stellte dort einen ersten Antrag. Die Schweiz als assoziiertes Mitglied der EU-Abkommen von Schengen und Dublin schickt deshalb fast die Hälfte der Asylsuchenden gemäss dem Dublin-Verfahren wieder zurück ins Nachbarland.

Tausende folgten Sabees Flucht auf Instagram

«Ich bin alles und sein Gegenteil». So stellt sich die 18-jährige ihren rund 350.000 Followern auf Instagram vor. Seit sie mit einer Gruppe von jungen Männern von Tunesien aus in einem Boot aufgebrochen ist, um Italien zu erreichen, nehmen viele Menschen Anteil an ihrem Schicksal. Sie wollen wissen, ob die riskante Fahrt geglückt ist und wie sich die junge Frau in Italien trotz illegaler Einreise durchschlägt. 

Viele, die ihr im Netz folgen, wünschen ihr Glück und gutes Gelingen, andere spotten über die medial aufbereitete, zu schön inszenierte Flucht und fragen sich, wie so etwas überhaupt möglich sein konnte, zumal die Stimmung auf dem Boot im Video stets heiter wirkte. Die Bootsflüchtlinge – es sind mehrheitlich junge Männer – singen und vermitteln einen schon fast glücklichen Eindruck.  

Sabee präsentiert sich mit perfekt lackierten Fingernägeln.

Schnelle Weiterreise nach Rom

Die Haare im Wind, ein lila Lippenstift perfekt aufgetragen, die Kamera auf sich gerichtet, scheint sich Sabee S. ganz entspannt auf dem Boot zu sonnen und abzubilden. Erst bei der Ankunft in Lampedusa schaut sie mit halbgeschlossenen Augen in die Kamera, ihre säuberlich rot-weiss lackierten Fingernägel noch einmal ins Bild rückend und schreibt, dass sie nun wirklich müde sei. 

Ein paar Tage später taucht sie auf einem Marktplatz auf, angeblich in Rom, modisch farbig herausgeputzt, wie ein Model mit der Kamera flirtend. Ihre Followers kommentieren, sind hingerissen von ihrer jugendlichen Schönheit und von ihren modischen Klamotten. Einige drücken offen ihren Neid darüber aus, dass sie es offenbar so einfach nach Italien geschafft hat und ungehindert weiterreisen konnte.

Niemand wirft die Frage auf, ob und bei wem sie Unterschlupf gefunden hat und wohin ihr illegaler Aufenthalt sie künftig wohl führen wird. Ein Schmuckverkäufer schreibt ihr: «Schönheit! Erlaube mir, Dir Schmuck umsonst zu schicken, um es zu präsentieren. Ich denke, Du bist die perfekte Person für unseren Markt. Zögere nicht bei Interesse, mir eine persönliche Nachricht zu schreiben, damit wir das realisieren können.» 

Die Nachricht des Schmuckverkäufers, der ihr einen Influencer-Job anbietet.

Mittlerweile hat auch der italienische TV-Sender Rete 4 über die junge Frau berichtet. In der Sendung «Dritto e rovescio» spricht die junge Frau über ihre Ankunft in Italien.

Über 20’000 Todesopfer auf der Mittelmeer-Route

Die Migrationsroute zwischen Afrika und Sizilien, beziehungsweise Lampedusa, ist die mit Abstand gefährlichste weltweit. Allein in den letzten sieben Jahren sind auf dieser Strecke mehr als 20’000 Menschen ertrunken.

Insbesondere seit dem sogenannten «arabischen Frühling» – als diverse nordafrikanische Staaten regelrecht zusammenbrachen – machten sich zehntausende junge Menschen, hauptsächlich Männer auf, die Überquerung des Mittelmeers mit ihrem Leben zu riskieren, in der Hoffnung in Europa ein besseres Leben zu finden. 

Kriminelle Menschenschmuggler nutzten die Gunst der Stunde und entwickelten aus den Flüchtenden ein Millionengeschäft, das bis heute floriert. Trotz der Schiffe und Flugzeuge von Frontex, der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache, die gegen die illegale Migration auf dem Mittelmeer im Einsatz stehen.

Sabee zeigt sich kurz nach der Landung auf Lampedusa auf einem Marktplatz. Sie gibt an, der Markt befinde sich in Rom.

Bilder befeuern Fluchtwillige

Mit der Vermarktung ihrer Geschichte – auch BBC hat darüber berichtet – zeigt Sabee S.  gleichermassen vielen Ausreisewilligen in Nordafrika und anderswo wie trügerisch einfach es ist, mit einem Boot alle möglichen Grenzen aufzuheben und das erhoffte Paradies Europa zu erreichen. 

Es sind solche realitätsfernen Bilder, die bei Jugendlichen Resonanz finden und deren Traum von Europa befeuern, obgleich der Traum ein tödliches Ende nehmen kann.

*Name der Redaktion bekannt.