Seit 15 Jahren schreibt Polizeireporter Stefan Hohler über Mord und Totschlag. Jetzt hat er seine spektakulärsten Geschichten im Buch «13 Mordfälle und eine Amour fou» veröffentlicht. «Crime Schweiz» bringt Auszüge aus dem Werk. Heute Teil drei aus dem Kapital: Der Callgirl-Mörder Mike A.

Die Staatsanwältin glaubt, das Motiv der Tat zu kennen. Er habe die Dienste des Callgirls gar nicht bezahlen können, deshalb habe er die Thailänderin getötet. Mike A. besass damals zu Tatzeitpunkt noch 1600 Franken. Zudem stellte sich am Prozess heraus, dass er schon früher in kürzester Zeit für 4000 Franken telefonisch Sexdienste angerufen hatte. Die Staatsanwältin fordert wegen vorsätzlicher Tötung eine Freiheitsstrafe von zwanzig Jahren und anschliessend lebenslange Verwahrung. Schützenhilfe für die lebenslange Verwahrung erhielt sie von zwei Psychiatern. Diese bestätigten in ihren Gutachten, dass der Täter untherapierbar sei. Es bestehe eine hohe Rückfallgefahr bei sexuellen Gewalthandlungen. Sieben ehemalige Partnerinnen des Angeklagten hätten von sexueller Gewalt berichtet. Der Angeklagte liebe es, Frauen beim Sex zu würgen und mit einem Messer zu bedrohen. Seine Lebensgeschichte zeige eine chronische Neigung zu Vergewaltigung und Nötigung. Eine Therapie könne nicht viel bewirken. Mike A. sei ein sexueller Sadist, der Lust am Leiden seiner Sexpartnerinnen verspüre. Fazit der beiden Psychiater: Eine Bestrafung nütze nichts und eine Therapie gebe es nicht. Damit sind die Voraussetzungen für eine lebenslange Verwahrung gegeben. Gemäss Gesetz kann ein Gericht diese anordnen, wenn ein Täter einen Mord verübt hat, wenn eine hohe Rückfallgefahr besteht und der Täter überdies als dauerhaft nicht therapierbar eingestuft wird. Alles, was es dazu braucht, sind zwei unabhängige Gutachten.

*

Mike A. wird aus dem Gerichtssaal geführt.
Bild: Stefan Hohler

Das Gericht verurteilte Mike A. im Indizienprozess antragsgemäss zu einer 20-jährigen Gefängnisstrafe wegen vorsätzlicher Tötung mit anschliessender lebenslänglicher Verwahrung. Es spräche zwar einiges für die besondere Skrupellosigkeit, wie dies beim Mordvorwurf verlangt wird, sagte der Richter. Aber mangels direkter Beweise hat sich das Gericht «in dubio pro reo» (im Zweifel für den Angeklagten) für eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Tötung entschieden. «Mike A. handelte  mit einer erschreckenden Gefühlskälte und einer hohen kriminellen Energie. Er hat trotz erdrückender Beweislast alles abgestritten und keine Reue gezeigt», sagte der Richter.

Mit dem Urteil hat das fünfköpfige Bezirksgericht Weinfelden Justizgeschichte geschrieben. Es ist das erste und einzige Mal seit dem Ja zur Verwahrungs-Initiative im Jahr 2004, dass in der Schweiz ein Täter rechtskräftig zu einer lebenslangen Verwahrung verurteilt wurde. Der Verteidiger wollte den Fall zwar weiterziehen. Doch zwei Tage vor dem Prozess am Obergericht Thurgau musste er im Auftrag seines Mandanten die Berufung zurückziehen. Das Urteil wurde damit rechtskräftig. Mike A. ist der erste und bis jetzt einzige lebenslang Verwahrte in der Schweiz.

*

Der Prozess fand am Bezirksgericht Weinfelden TG statt.
Bild: tg.ch

Später begründete Mike A. in einem «Zeit»-Interview, warum er den Fall nicht ans Bundesgericht weitergezogen hatte. «Ich wollte einfach Ruhe. Ich wollte mir dieses ganze Theater ein zweites Mal ersparen.» Er ist weiterhin von seiner Unschuld überzeugt und sagte, dass er in sich in jener Nacht in einer Bar aufgehalten und eine Erinnerungslücke habe. Am nächsten Morgen sei das Theater losgegangen, die «Bullen» seien gekommen und er sei abgestempelt gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe die Frau wohl noch gelebt, sagte er der Journalistin. Mike A. wird vermutlich bis an sein Lebensende in der Strafanstalt Pöschwies leben. Besuch hat er nur von seinem Anwalt erhalten. Dreimal im Jahr schreibt er seinem Sohn, «obwohl ich nichts zu schreiben habe». 

Als Vorzeigehäftling ist er angenehm und freundlich gegenüber den Aufsehern. Er erledigt seine Arbeit zuverlässig, ist pünktlich und musste noch nie diszipliniert werden. Am liebsten ist ihm ein geregelter Tagesablauf: Schlafen, Arbeit und abends fernsehen, Fussball, Autorennen und Krimiserien. Geregelt ist auch das Saubermachen der Zelle. Das tut er in fünf Etappen: WC und Lavabo am ersten Tag, das erste Regal und das Nachttischchen am zweiten, den Schreibtisch am dritten, das zweite Regal und den Fernseher am vierten, das Fenster am fünften Tag. «Wichtig ist, dass du hier den Rhythmus hast», sagt er. Er habe  Stress schon immer gehasst wie die Pest. Auf die Frage der Journalistin, was er machen würde, falls er freikäme, antwortete er: «Ich würde mir einen Chip in den Arsch montieren lassen damit ich jederzeit beweisen könnte, wo ich mich aufhalte. Mit wem und was ich tue. Damit mir keiner je wieder etwas anhängen könnte.»

Stefan Hohler: 13 Mordfälle und eine Amour fou. Die spannendsten Kriminalfälle des «Tages-Anzeiger»-Polizeireporters.

Münster-Verlag.
ISBN 978-3-907146-48-4
24 Franken