Es ist die grösste Massentötung in der Schweizer Kriminalgeschichte. In der Nacht zum 5. Oktober 1994 sterben in den Kantonen Wallis und Freiburg 48 Mitglieder der Sonnentempler-Sekte. Auch 27 Jahre nach der Tragödie sind die Tat und die Tatorte fest im Bewusstsein der Dorfbevölkerung. Ein Teil der Grundstücke ist jetzt wieder bewohnt.

Das Dorf liegt hoch über dem Rhonetal. Und ist nur über eine sich hinziehende Serpentinenstrasse erreichbar. Trotz oder gerade wegen dieser Abgeschiedenheit wurde Granges sur Salvan im Kanton Wallis am 5. Oktober 1994 zum Mittelpunkt der internationalen Presse. In dieser Nacht gehen im Dorf drei Chalets in Flammen auf. Die schnell ausgerückte Feuerwehr entdeckt vor Ort eine fürchterliche Szenerie. Die Löschkräfte stossen auf 25 Leichen, unter den Toten finden sie auch die Körper von Kindern. Einige Leichen sind so stark verkohlt, dass es Wochen dauern wird, bis die Behörden sie eindeutig identifizieren können.

Auch 27 Jahre nach diesen blutigen Ereignissen ist das Massaker im Dorf, in der Nähe von Martigny, längst nicht vergessen. So erzählt eine ehemalige Nachbarin der Sonnentempler, die lieber anonym bleiben will: «Diese Ereignisse haben uns nie mehr losgelassen. Erwähne ich, wo ich lebe, kommen garantiert Fragen zu den Sonnentemplern», beschreibt sie ihre Erfahrungen. «Es ist Teil unserer Geschichte. Daran habe ich mich gewöhnt.» Aber es gibt Erinnerungen, die die Frau gerne aus ihrem Gedächtnis streichen möchte: «Ich wohnte damals gleich neben dem Tatort. Am Tag vor der Tragödie sah ich noch die Kinder im Garten spielen. Hätten wir was gewusst, hätten wir was tun können.»

Grundstücke in Les Granges wieder bewohnt

Ihr Vater habe damals der Polizei Auskunft gegeben, sie selber habe sich nicht getraut. «Ich wollte nicht an diesen Ort, wo so viele Menschen gestorben sind», erzählt sie heute. «Und so ging es vielen.»

Tatsächlich dauerte es lange, bis die drei betroffenen Grundstücke im Dorf wieder einen neuen Besitzer fanden. Das letzte lag bis diesen Frühling brach, jetzt baut ein ausländischer Geschäftsmann darauf ein neues Chalet. Crime Schweiz konnte kurz mit dem Besitzer eines der Grundstücke sprechen. Zum Schutz seiner Familie wollte er sich nicht weiter äussern. Auf die Frage, ob es schwierig sei, hier zu leben, sagt er: «Ich gedenke der Opfer aber für uns geht das Leben weiter.»

Die Brandruinen sind längst entfernt
und ein neues Chalet wurde erbaut.
Bild: Crime Schweiz

Gemeinde fürchtete sich vor Pilgerstätte

Vor 27 Jahren brannten nicht nur im Wallis die Chalets. Ein weiterer Sonnentempler-Tatort lag im 105 Kilometer entfernten Cheiry im Kanton Freiburg. Hier starben in dieser verhängnisvollen Nacht weitere 23 Menschen. «Von dem Haus ist heute nichts mehr zu sehen», erzählt eine Anwohnerin Crime Schweiz. «Die Gemeinde wollte nicht, dass der Ort zur Pilgerstätte wird. Darum wurde alles abgerissen.»

Tatsächlich ist der genaue Tatort kaum mehr auszumachen. Wo einst der grosse Bauernhof stand, befindet sich heute eine Kuhweide. Selbst die Grundmauern des Gehöfts wurden beseitigt. «Die Tragödie ist sicherlich noch in unserer Erinnerung. Aber es ist einfacher zu vergessen und abzuschliessen, wenn da nichts mehr ist», so die Frau weiter.

Massensuizid oder doch Massenmord?

Ein Vergessen, das in diesem Fall besonders für die Angehörigen sehr schwer ist. Denn bis heute sind die Ereignisse in der Nacht des 5. Oktobers 1994 nicht abschliessend geklärt. Gingen die Sekten-Mitglieder alle freiwillig in den Tod oder wurde nachgeholfen? Gesichert ist: Innerhalb der apokalyptischen Sonnentempler-Sekte spitzte sich in den frühen 1990er-Jahren die Situation zu. Je näher die Jahrtausendwende rückte, desto mehr schürte Grossmeister Joseph Di Mambro die Verfolgungsängste der Mitglieder und drängte zu einem «Transit» auf den Planeten Sirius, um der Zerstörung der verdorbenen Welt zu entgehen.

Gleichzeitig erzählte seine Tochter Elie öffentlich, dass der Vater die Anhänger mit billigen «Taschenspieler»-Tricks täuschte. Die vermeintlich übersinnlichen Fähigkeiten gaukelte er mit einer technischen Anlage und einer Fernbedienung unter seinem Umhang vor. Zudem liefen sowohl gegen Di Mambro wie auch gegen den zweiten Sektenführer, Luc Jouret, Ermittlungsverfahren wegen Betrugs und illegalem Waffenhandels.

War es nun ein Massensuizid oder doch ein Massenmord? Die Untersuchungen der Tatort-Ermittler zeigten, dass 15 Menschen Selbstmord begingen, sieben als «Verräter» hingerichtet wurden und bei den weiteren Leichen beim Sterben nachgeholfen wurde. Die Köpfe waren in Müllsäcke gehüllt, die meisten hatten tödliche Schusswunden.

Schuldige unter den Toten

Christian Brügger, Stabschef der Kantonspolizei Freiburg, sagte Jahre später zu SRF: «Die Menschen, die hier starben, wollten nicht gehen. Nur ein kleiner Teil wollte das.» Trotz langer Ermittlungs- und Untersuchungsverfahren kam es aber nie zu einem Urteil. So hätten die gesammelten Indizien nur einen Schluss zugelassen: Beim Sonnentempler-Massaker starben auch alle Schuldigen.