Vor 19 Jahren ist der Rabbiner Abraham Grünbaum in Zürich auf offener Strasse erschossen worden. Ein bis jetzt ungeklärtes Tötungsdelikt. Bleibt das so, verjährt der Fall, wie etliche andere auch, nach 30 Jahren.
Kein Täter, kein Motiv, keine Tatwaffe. Der Mord vom 7. Juni 2001 am 70-jährigen Rabbiner, der sich auf dem Weg zur Synagoge befand, ist bis heute ungeklärt. Anwohner am Hallwylplatz in Aussersihl hatten zwei Schüsse gehört und einen Mann wegrennen sehen.
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Ein Raubmord war es nicht, in seiner Aktentasche waren noch über tausend Franken. Grünbaum lebte in Israel und kam jedes Jahr nach Zürich, um hier bei den jüdischen Gemeinden Geld für seine Talmud- Schule in Israel zu sammeln. War es die Tat eines Judenhassers, eine persönliche Abrechnung oder ein gescheiterter Raub?

Bild: Miklós Klaus Rózsa, zvg
Am Abend des diesjährigen Jahrestag haben sich rund hundert Menschen um den grossen Brunnen am Hallwylplatz versammelt und an das Opfer gedacht. «Sche-elohim yerachem al nischmato» – «Möge Gott seiner Weisheit gnädig sein» steht in einem Facebook-Post zum Gedenkanlass.
Schuss durch die Nackenstütze
Ein weiteres ungeklärtes Kapitalverbrechen in der Stadt Zürich ist der tödliche Schuss auf einen Autofahrer im Bucheggplatz-Kreisel vor über 23 Jahren. Am Abend des 15. November 1996 durchschlug die Kugel von der Tièchestrasse in Wipkingen her kommend die Heckscheibe und Nackenstütze des Wagens und traf den Lenker in den Hinterkopf. Er starb einen Tag später im Spital.
Der Informatiker befand sich auf dem Heimweg. Weder im privaten noch im beruflichen Umfeld des Mannes fanden die Ermittler Hinweise auf ein absichtliches Tötungsdelikt. Der Mord am Bucheggplatz ist einer der mysteriösesten Fälle der jüngeren Schweizer Kriminalgeschichte – wenn es denn ein Mord gewesen ist.

Bild: Stefan Hohler
Denn dass ein Schütze mit einem Revolver oder einer Pistole aus dieser Distanz und von hinten durch die Heckscheibe und Nackenstütze gezielt jemanden erschiessen kann, ist laut Experten fast nicht möglich. Hatte Vielleicht ein Heckenschütze wahllos auf ein Auto geschossen oder ein Unbekannter aus Übermut eine Kugel abgefeuert?
Trotz heisser Spur ungeklärt
Auch das Tötungsdelikt an einer 56-jährigen Psychoanalytikerin im Zürcher Seefeldquartier vom 15. Dezember 2010 wartet trotz heisser Spur immer noch auf Klärung. Denn die DNA des Täters wurde auch bei einem Doppelmord an einem Rentnerpaar in Laupen im Kanton Bern gefunden. Genau fünf Jahre nach der Tat in Zürich starb das Ehepaar am 15. Dezember 2015 in Laupen durch Fremdeinwirkung. Die Toten wiesen sowohl Verletzungen von scharfer wie auch von massiver stumpfer Gewalt auf.
Ebenfalls im Jahr 2010 wurde ein 17-jähriger Lehrling vor dem Club Q in Zürich-West niedergestochen. Obwohl eine Überwachungskamera den Täter filmte, fehlt von ihm bis heute jede Spur. Der Täter war mit einem auffälligen Beachcruiser-Velo unterwegs. Das Bild des Velofahrers wurde von der Polizei veröffentlicht, trotzdem konnte seine Identität nicht geklärt werden. Beim Täter handelt es sich gemäss Zeugenaussagen um einen 20- bis 25-jährigen «Latino-Typ». Die Untersuchungsbehörden vermuteten, dass der Mann nach der Tat in die Karibik floh.

Auch der sogenannte Tankstellenmord in Zürich-Seebach hatte für Schlagzeilen gesorgt. Eine zweifache Mutter und Tankstellenbetreiberin war im August 2008 mit Messerstichen getötet worden. Ob ein Mann oder eine Frau die brutale Tat begangen hatte, weiss die Polizei bis heute nicht. Die Aufnahmen der Überwachungskamera sind zu undeutlich. Einen Raubmord schloss die Polizei aus, gestohlen wurde nichts. Hinweise auf einen politisch motivierten Auftragsmord – Opfer und Ehemann sind Kurden – gab es keine. Die Familie war wohlhabend und intakt.
Da die Ehefrau ursprünglich aus Deutschland stammte, wurde der Fall ein Jahr später auch in der Sendung «Aktenzeichen XY … ungelöst» aufgegriffen und die Polizei wurde von einem Profiler unterstützt – vergeblich. Auch die Rekordbelohnung für die Auflösung des Mordes in der Höhe von hunderttausend Franken brachte die Polizei nicht weiter.
Im Zweifelsfall von Mord ausgehen
Mordfälle verjähren nach 30 Jahren. Laut Erich Wenzinger, Sprecher der Oberstaatsanwaltschaft Zürich, würde die Staatsanwaltschaft zuerst einfach von einem «Tötungsdelikt» ausgehen und im Rahmen der ersten Ermittlungen nicht in Totschlag, vorsätzliche Tötung oder Mord differenzieren.
“Stellt sich die Frage der Verjährung, gehen wir von einem Mord mit der entsprechend längeren Verjährungsfrist aus.”
Erich Wenzinger, Sprecher Oberstaatsanwaltschaft Zürich
«Das kommt dann erst ganz am Schluss der Untersuchung, wenn die Umstände im Detail geklärt sind», sagt Wenzinger. «Falls sich die Frage der Verjährung stellt, gehen wir von einem Mord mit der entsprechend längsten Verjährungsfrist aus.» Sollte es dann aber ein Totschlag oder eine vorsätzliche Tötung sein, wodurch das Delikt bereits nach 15 Jahren verjährt ist, müsste eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft oder das Gericht erfolgen.
Das kann aber erst festgestellt werden, wenn das Tötungsdelikt aufgeklärt wird. Wenzinger: «Im Zweifel wird deshalb im Zusammenhang mit der Verjährung immer von einem Mord ausgegangen.» Dass ein Mordfall überhaupt verjährt, sorgt immer wieder für Diskussionen. Im Ständerat wurde im Frühjahr über eine Standesinitiative aus dem Kanton St. Gallen entschieden, mit der die Verjährungsfrist für Kapitalverbrechen wie Mord aufgehoben werden soll. Der Rat lehnte das Begehren knapp ab, jetzt kommt das Geschäft in den Nationalrat.