Solche Szenen kennt man aus Los Angeles oder der New Yorker Bronx. Wegen eines missglückten Drogendeals rastet ein Mann aus, zückt seinen Revolver und drückt ab. Doch dieses Bild stammt nicht aus den USA. Der Vorfall ereignete sich Ende Februar 2020 an der Zürcher Langstrasse. Der Schütze muss sich diese Woche vor dem Bezirksgericht verantworten.
Dass an diesem Samstagabend niemand verletzt wurde, grenzt fast an ein Wunder. Liest man die Anklageschrift der Zürcher Staatsanwaltschaft, hätten die abgegebenen Schüsse sowohl für den Beteiligten aber auch für unschuldige Passanten tödlich enden können. Passiert ist der Vorfall am 29. Februar gegen 21.15 Uhr.
Zu dieser Zeit ist an der Zürcher Langstrasse das Partyvolk unterwegs, junge Menschen flanieren die Ausgangsmeile entlang. Unter ihnen auch der 41-jährige Schweizer Marco P.*. Vor einigen Tagen hatte er sich hier im Kreis 4 mit Kokain eingedeckt. Das dachte er anfänglich zumindest. Wie sich wenig später herausstellte, hatte das weisse Pulver keinerlei berauschende Wirkung. Er sei vom Dealer über den Tisch gezogen worden, erzählt er später den Ermittlern.
Fünf Schüsse in der Revolver-Trommel
Nun ist Marco P. in Begleitung seiner Freundin erneut im Quartier unterwegs. Da entdeckt er an der Kreuzung Langstrasse/Hohlstrasse ausgerechnet den Dealer, der ihn betrogen hatte. Er geht auf ihn zu, zückt aus seiner rechten Jackentasche einen Revolver der Marke «Rossi», Kaliber .22. Die Waffe ist geladen, fünf Schüsse befinden sich in der Trommel.
«Er packte seinen Widersacher mit der linken Hand vorne am Hemd- oder Jackenkragen und hielt mit der rechten Hand den Revolver gegen den Kopf», schreibt die Staatsanwaltschaft I für schwere Gewaltkriminalität in ihrer Anklageschrift. Marco P. verlangt die Rückerstattung des Geldes, konkret geht es nur um 70 Franken.
Für den Beschuldigten Grund genug seinen Kontrahenten in Todesangst zu versetzen. «In der aufgeladenen Stimmung bestand jederzeit die Gefahr, dass der vor Wut ausser sich stehende Marco P. unbeabsichtigt eine Manipulation ausführt, sich ein Schuss löst und den Geschädigten trifft», heisst es in der Anklageschrift weiter.
Und das ist wenige Sekunden später tatsächlich der Fall. Als der Beschuldigte die Waffe kurz gegen den Boden richtet, knallt es und ein Projektil schlägt in den Asphalt ein. Sein Opfer reist sich los, ergreift die Flucht. Marco P. folgt ihm mit langsamen Schritten, richtet die Waffe in seine Richtung und drückt aus einer Entfernung von 15 Metern ab. Herumstehende Passanten filmen die Szene. Auf dem Material ist zu sehen, wie entschlossen er am Abzug zieht.
Staatsanwalt sicher: Er wollte sein Opfer töten
Marco P. verfehlt den Wegrennenden. Der Schuss schlägt über ihm in eine Halteverbots-Tafel ein. Doch noch immer lässt der Schütze nicht von seinem Opfer ab. Er folgt ihm weiter – und schiesst erneut. Mit viel Glück verfehlt aber auch dieser Schuss sein Ziel. Unversehrt kann sich der Mann schliesslich in Sicherheit bringen.

Bild: Zvg
Für die Zürcher Staatsanwaltschaft ist klar: Marco P. wollte sein Opfer töten. Die Behörde klagt den Beschuldigten wegen versuchter vorsätzlicher Tötung, Gefährdung des Lebens, Vergehen gegen das Waffengesetz und versuchter Erpressung an. Als Strafmass fordert sie eine Freiheitsstrafe von neuneinhalb Jahren. Zudem soll sich der Beschuldigte während der Haftstrafe ambulant gegen seine Drogensucht behandeln lassen.
Marco P. sitzt seit den Schussabgaben in Haft. Mehrfach wurde die U-Haft verlängert, schliesslich wurde die Sicherheitshaft beantragt. Wie lange ihn die Richter nun effektiv hinter Gitter schicken, wird der Prozess am Donnerstag vor dem Zürcher Bezirksgericht zeigen.
*Name der Redaktion bekannt.

Bild: BRK News