Walter Hauser, Präsident der Anna-Göldi-Stiftung, hat ein überarbeitetes und aktualisiertes Sachbuch über die «letzte Hexe» geschrieben. Besonders interessant: Ein Tagebuch von 1782 deckt den Whistleblower auf, welcher die geheimen Prozessakten herausgegeben hat.   

Am 13. Juni 1782 wurde Anna Göldi, eine Magd aus dem heutigen St. Galler Rheintal, am Galgenhügel in Glarus enthauptet. Zuvor war ihr auf dem Marktplatz das Todesurteil vorgelesen und anschliessend wurde sie durch das «Mördergäss» zum Richtplatz geführt. Hunderte von Schaulustigen verfolgten mit, wie der Scharfrichter mit dem Schwert der 47-Jährigen den Kopf abschlug.  

Der Fall Anna Göldi war der letzte aktenkundige Hexenprozess in Mitteleuropa. Im Jahre 1775 war in Kempten im Allgäu noch ein Hexenprozess durchgeführt worden, das Todesurteil wurde jedoch ausgesetzt. Der zweitletzte Prozess im bündnerischen Tinizong vier Jahre später endete schliesslich mit einem Freispruch. «Der Prozess gegen Göldi war schon damals umstritten und ein Akt von behördlicher Willkür. Es war ein Justizmord, der erst mit der Rehabilitierung von Anna Göldi durch den Kanton Glarus 2008 juristisch aufgearbeitet wurde», sagt Walter Hauser. 

Erwartete sie ein Kind vom Ratsherrn?

Der 64-jährige Jurist und Ex-Journalist hat nun eine neue Biographie geschrieben: «Anna Göldi – geliebt, verteufelt, enthauptet. Der letzte Hexenprozess und die Entdämonisierung der Frau», heisst das Werk aus dem Limmat Verlag. Hauser zeichnet das Leben der Magd nach und befasst sich mit dem damaligen Hexenwahn. Sein Fazit: Durch die europaweite Entrüstung, die der Prozess auslöste, markierte er das Ende der dreihundertjährigen Hexenverfolgung mit Inquisitionsverfahren, Folter und Geheimjustiz. 

Anna Göldi wurde mit einem solchen Schwert enthauptet.
Bild: Stefan Hohler

Anna Göldi, geboren 1734 in Sennwald im heutigen St. Galler Rheintal, zog als junge Frau nach Glarus, wo sie eine Stelle als Haushaltsgehilfin beim Ratsherrn und Richter Doktor Johann Jakob Tschudi antrat. Doch schon nach einem Jahr folgte nach einem heftigen Streit die sofortige Entlassung – und das Schicksal der alleinstehenden Magd nahm seinen Lauf. 

Der Grund für ihre Entlassung blieb anfänglich im Dunkeln. Bald aber kursierten im Städtchen die Gerüchte, dass Göldi von Tschudi schwanger geworden sei. Als die Behörden zu ermitteln begannen, behaupteten die Eheleute Tschudi, dass die Magd der achtjährigen Tochter Anna Maria – genannt Annamiggeli – «Gufen» (Stecknadeln) in die Milchtasse gelegt habe.

Kurze Flucht endete im Toggenburg

Göldi kehrte ins Rheintal zurück und floh anschliessend unter falschem Namen ins Toggenburg. Im Dorf Degersheim fand sie in einem Wirtshaus eine Stelle als Magd. Doch schon nach zwei Wochen wurde sie verhaftet. Der Dorfschulmeister hatte sie erkannt und die Glarner Behörden informiert, welche mit einem Steckbrief und einer Belohnung von hundert Kronentalern nach ihr fahndeten.

Mit diesem Aufruf fahndeten die Behörden damals nach Anna Göldi.
Quelle: Wikipedia

In den nun folgenden Einvernahmen wurde die Angeklagten zuerst «gütlich verhört», wobei Göldi beteuerte, dass sie nicht wisse, wie die Stecknadeln in die Milchtasse von Annamiggeli gekommen seien. Darum folgten so genannte «peinliche Verhöre». Dabei kam die gefürchtete Zug- oder Streckfolter zur Anwendung. Der Scharfrichter band der Angeklagten die Hände auf dem Rücken zusammen und befestigte daran einen Hacken, an dem die Gefangene mit ausgerenkten Armen an einem Seil hochgezogen wurde. Zudem band man ihr einen schweren Stein an die Füsse, um noch stärkere Schmerzen zuzufügen. Unter den schweren Qualen gab Göldi zu, die Kräfte des Teufels zu nutzen.

Wistleblower-Tagebuch existiert noch heute

Für Göldi-Spezialist Walter Hauser hat der Fall noch eine zweite wichtige Komponente: «Der Prozess wurde zu einem der allerersten grossen Whistleblower-Fälle in Europa.» Dass die Öffentlichkeit über den Geheimprozess erfuhr, ist zwei deutschen Journalisten zu verdanken, welche darüber berichteten. Sie konnten sich dabei auf einen Informanten abstützen, welcher den ganzen Prozess hautnah mitverfolgt hatte: Der Gerichtsschreiber Johann Melchior Kubli, der einem der beiden Journalisten, Heinrich Ludwig Lehmann, die Verhörprotokolle und Gerichtsdokumente zukommen liess. 

Interessantes Detail: 238 Jahre nach der Exekution von Anna Göldi haben die Nachkommen von Lehmann dessen Tagebuch, mit all den geheimen Einträgen, der Anna-Göldi-Stiftung als Geschenk überreicht. Es kann unter Sicherheitsauflagen im Anna Göldi Museum eingesehen werden. Das Museum befindet sich in einer ehemaligen Stoffdruckerei im historischen Hänggiturm in Glarus/Ennenda. 

Buchautor Walter Hauser im Anna Göldi Museum in Glarus.
Foto: Stefan Hohler

Anna Göldi – geliebt, verteufelt, enthauptet
Erscheinung: 25.08.2021
Autor: Walter Hauser
Verlag: Limmat
Seiten: 200