Mehr als eine Million Syrer flüchteten 2015 und 2016 vor dem Bürgerkrieg nach Europa. Doch unter den Flüchtlingen versteckten sich auch Terroristen und Kriegsverbrecher. Die Behörden bemühen sich, diese Personen strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen. Der Fall eines Arztes zeigt, zu welchen Gräueltaten es in Syrien gekommen ist.
Ende Juli haben die deutschen Behörden gegen den syrischen Arzt Alaa M.* Klage erhoben. In ihrer Anklageschrift schreibt die deutsche Generalbundesanwaltschaft von Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und beschreibt in sieben Anklagepunkten die Gräueltaten, die dem Beschuldigten vorgeworfen werden.
Der Mann war im Sommer 2020 an seinem neuen Wohnort in Hessen festgenommen worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits seit mehreren Jahren in einem Spital in Kassel gearbeitet. Zuvor hatte M. die für ausländische Ärzte obligatorische Medizin- und Sprachprüfung ohne Probleme bestanden. Zunächst blieb er unerkannt, doch schliesslich wurde er von anderen Syrern erkannt. Sie alarmierten die Behörden. Seither befindet sich der beschuldigte Arzt in Haft.

Bild: Google Map
Hoden mit Alkohol übergossen und angezündet
Von seinen Kollegen im Spital Kassel wusste niemand, dass der Mann in den Jahren 2011 und 2012 für den syrischen militärischen Geheimdienst im Militärspital der Stadt Homs und jenem der Hauptstadt Damaskus als Arzt tätig war.
Sie wussten auch nichts von den Taten, die ihm jetzt die Bundesanwaltschaft vorwirft. So soll Alaa M. in Syrien mindestens einen Gefangenen getötet und mindestens achtzehn weitere, Gegner von Präsident Bashar al-Assad, gefoltert haben.
Und die Folterdetails in der Anklageschrift sind selbst für hartgesottene Staatsanwälte kaum zu ertragen. So soll der Arzt im Sommer 2011 die Hoden eines 14- oder 15-jährigen Jungen mit Alkohol übergossen und ihn dann in der Notaufnahme des Militärkrankenhauses angezündet haben, wie es in der Anklage heisst. Ausserdem soll er andere Gefangene mit Fusstritten und Schlägen gegen Kopf, Oberkörper und Leiste traktiert und in einem Fall eine Operation ohne ausreichende Betäubung durchgeführt haben.
Tötete er Gefangenen mit Injektion?
Als sich ein Häftling im Militärspital von Homs gegen seine Tritte wehrte, schlug der Arzt ihn mit einem Schlagstock und injizierte ihm dann, nachdem er ihn am Boden festgebunden hatte, eine Substanz, so die Staatsanwaltschaft weiter. Der Mann sei Minuten später gestorben.
Der juristische Leiter der Menschenrechtsorganisation «Syrian Justice and Accountability Center» in Washington, begrüsste das Vorgehen der deutschen Bundesanwaltschaft. «Alaa M. ist Teil des syrischen Regierungsapparates, der an der Verfolgung und Folterung des syrischen Volkes beteiligt ist», sagte er.
Erste Urteile bereits gefällt
Der Prozess gegen Alaa M. ist nicht der erste in Deutschland, der gegen syrische Regierungsvertreter geführt wird. Im Sommer 2020 wurden Männer, die dem syrischen militärischen Geheimdienst angehörten, vor Gericht gestellt. Ein Offizier wurde im Februar zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt und das Urteil im Fall des anderen Offiziers wird in Kürze in Koblenz (D) erwartet.
In Bezug auf Alaa M. sagt der Anwalt des «Syrian Justice and Accountability Center», dass die Anklage der deutschen Generalbundesanwaltschaft ein wichtiges Signal an diejenigen sei, die noch in Syrien des Missbrauchs beschuldigt werden und dass die schlimmsten Täter wohl vorläufig noch in Syrien bleiben würden. Sie wüssten jetzt, dass ausserhalb von Syrien Gerechtigkeit auf sie wartet.
Wann genau es im Fall Alaa M. zur Gerichtsverhandlung kommen wird, ist derzeit noch nicht bekannt.
*Name der Redaktion bekannt