Bankangestellte, Tankwarte oder Verkäufer fürchten sich vor dieser Situation: Plötzlich taucht ein maskierter und bewaffneter Mann auf und fordert Geld.
Coop-Filialleiter Paul Engel* ist es passiert. Er wird die Geschehnisse an jenem Morgen wohl nicht vergessen können. Was zunächst wie jeder normale Arbeitstag beginnt, endet für Paul Engel mit einem brutalen Angriff.
20. Juli 2017: Der Filialleiter betritt seinen Laden im Zürcher Stadtteil Triemli kurz vor sechs Uhr morgens. Im Geschäft schaut er nach dem Rechten, räumt hie und da etwas beiseite, danach will er die Filiale für die Kunden öffnen. Etwa zur gleichen Zeit erscheint auch seine Mitarbeiterin pünktlich zum Dienst.
Was die beiden nicht ahnen können: Nur wenige Meter entfernt haben sich drei Männer auf die Lauer gelegt. In ihrem Lieferwagen warten sie auf eine günstige Gelegenheit – ihr Ziel: das Geld im Tresor der Coop-Filiale.
Und die Gelegenheit ergibt sich. Um 6.15 Uhr öffnet Engel das Warentor, um einen Palettrolli auf die Rampe zu stossen. Zwei der Männer springen aus dem Fahrzeug, stürmen auf ihr Opfer los. Sie sind maskiert und tragen Handschuhe – bloss keine Spuren hinterlassen. Und: Sie sind bewaffnet.
Ohne Vorwarnung sprüht einer der Männer Engel Pfefferspray ins Gesicht und schlägt ihn mit einem Schlagring zweimal. Wie sich später herausstellt, bricht er Engel dabei die linke Augenhöhle und verletzt den Augapfel schwer. Engel stürzt zu Boden, er schreit um Hilfe.
Die Mitarbeiterin im Laden eilt herbei und gerät ebenfalls in die Fänge der Räuber. Der zweite Mann zwingt sie mit vorgehaltenem Schmetterlingsmesser den Tresor im Büro der Filiale zu öffnen und das Geld in einen Rucksack zu stecken. Nach nur wenigen Minuten ist der Spuk vorbei. Die Männer fliehen aus dem Laden, rennen zum Lieferwagen und rasen mit dem Komplizen am Steuer davon. Die Beute: 21’230.90 Franken.
Doch weit kommen die Täter nicht. Nur wenige Stunden später hat sie die Stadtpolizei Zürich dingfest gemacht, die Handschellen klicken. Der Lieferwagen war Anwohnern aufgefallen – es ist der entscheidende Hinweis, der zur Verhaftung führt.
Höchste Strafe für den Schlagring-Schläger
Im September mussten sich die drei Beschuldigten vor dem Zürcher Bezirksgericht für den brutalen Überfall verantworten. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat sie wegen Raub und Vergehen gegen das Waffengesetz angeklagt.

Bei den Männern handelte es sich um zwei in Zürich wohnhafte Schweizer (25 und 23) und einen Bosnier im Alter von 24 Jahren. Die Anklagebehörde forderte für den Schlagring-Schläger eine Freiheitsstrafe von 32 Monaten, für den Träger des Schmetterlingsmessers 24 und für den Fahrer noch 12 Monate.
Vier Raubüberfälle pro Tag in der Schweiz
Aus Sicht der Opfer sind das viel zu geringe Strafen. Und Betroffene wie Paul Engel gibt es in der Schweiz viele. 2017 kam es hierzulande zu 1746 Raubüberfällen. Das zeigt die neuste polizeiliche Kriminalstatistik. Konkret heisst das: Jeden Tag werden im Schnitt vier Raubüberfälle verübt.

Während die Räuber das schnelle Geld suchen, bedeutet ein solcher Übergriff für die Opfer häufig ein schweres Trauma, an dem sie noch Jahre zu leiden haben. Besonders exponiert sind hier Angestellte in Tankstellenshops. Sie arbeiten während den Randstunden oder in der Nacht ganz allein im Shop.
Die Schweizer Gewerkschaften sind schon länger alarmiert. Bereits 2015 forderte die Unia von den Tankstellenbetreibern, ihre Mitarbeiter während der Risikostunden immer nur zu zweit arbeiten zu lassen.
Doch die Unia-Forderung verhallte bisher praktisch ungehört. Die Tankstellenbetreiber setzen stattdessen auf Türschliessvorrichtungen, Videoaufzeichnungen oder die intensive Schulung des Personals. Einige Filialen seien, wie es von den Grossunternehmen heisst, für eine Doppelbelegung schlicht zu klein.
Das rät die Polizei
Für den Fall, dass man sich plötzlich in der Situation von Paul Engel wiederfindet, empfiehlt Florian Frei, Sprecher der Kantonspolizei Zürich, dieses Verhalten:
Während des Überfalls
- Ruhe bewahren, nicht in Panik verfallen
- Bei einem bewaffneten Täter immer davon ausgehen, dass die Waffe echt ist
- Keine Gegenwehr leisten
- Hände immer gut sichtbar halten
- Hektische Bewegungen vermeiden
- Geforderte Wertsachen übergeben
- Fluchtwege nicht versperren
- Aussehen und besondere Merkmale merken
Nach dem Überfall
- Polizei über 117 alarmieren
- Verletzten Personen erste Hilfe leisten
- Beschreibung der Täterschaft notieren
- Spuren der Täter nicht verwischen oder beschädigen
- Fluchtrichtung der Räuber merken
- Videomaterial sichern
Ein Teil der Beute ist spurlos verschwunden
Trotz langem Ermittlungs- und Untersuchungsverfahren fehlt bis heute im beschriebenen Fall ein Teil der Beute. Gemäss Anklageschrift konnten nur 16’986.80 Franken bei den Beschuldigten sichergestellt werden. Der Betrag wird nach Abschluss des Gerichtsverfahren dem Detailhändler Coop zurückgegeben.
Wo die restlichen rund 5000 Franken abgeblieben sind, ist bis heute unbekannt.
* Name von der Redaktion geändert.