Zweimal stand Stefan P.* (60) schon vor Gericht. Zweimal wurde er wegen mehrfachen sexuellen Handlungen mit Buben verurteilt. 2018 stufte ihn die Zofinger Staatsanwaltschaft als Gefahr für die Gesellschaft ein und wollte ihn verwahren. Doch es kam anders. Jetzt läuft erneut ein Strafverfahren gegen den Mann.
Es war ein aufmerksamer Mitarbeiter, der den Fall ins Rollen brachte. Seit Oktober 2021 arbeitete er mit Stefan P. im Impfzentrum Zeughaus in Altdorf im Kanton Uri. Es waren Aussagen wie diese, die den Mitarbeiter stutzig machten: «Die Impfung sollte für alle Kinder freigegeben werden. Erst recht, weil ich so gut mit Kindern kann», soll Stefan P. wiederholt gesagt haben.
Der Mitarbeiter will mehr über den Mann wissen und recherchiert im Netz. Schliesslich gibt er ein Bild in die Online-Suchmaschine ein. Was er dann sieht, schockiert ihn. Er findet Artikel über den Gerichtsfall aus dem Jahr 2019. Damals stand Stefan P. wegen mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern in sechs Fällen in Zofingen AG vor Gericht. Die dortige Staatsanwaltschaft stufte den Mann gar als Gefahr für die Gesellschaft ein und wollte ihn deshalb verwahren, wie die «Aargauer Zeitung» schrieb.

Der Mitarbeiter in Altdorf meldet seinen Fund den Vorgesetzten, die handeln schnell. Stefan P. wird entlassen. Und es wird Anzeige erstattet. Die Urnen Staatsanwaltschaft bestätigt auf Anfrage von Crime Schweiz, dass gegen Stefan P. eine Untersuchung läuft. Ob Kinder zu Schaden gekommen sind, bleibt unklar. Sicher ist, es geht um ein richterlich verfügtes Tätigkeitsverbot. Darin steht: Stefan P. darf keiner Arbeit nachgehen, bei der er mit Kindern zu tun hat. «Weil das Verfahren aber noch läuft, können wir uns nicht dazu äussern», heisst es bei der Staatsanwaltschaft.
Gutachten bezeichnet Stefan P. als therapierbar
Es bleibt die Frage: Wie kann ein Mann, dem Anfang 2019 noch die ordentliche Verwahrung drohte, knapp drei Jahre später Verantwortlicher eines Impfzentrums sein?
Trotz eindringlicher Warnung der damals zuständigen Staatsanwältin Christina Zumsteg entschied sich zuerst das Bezirksgericht Zofingen (2018) und dann auch das Aargauer Obergericht (2019) gegen eine Verwahrung von Stefan P.. Grundlage dafür war ein Gutachten. Darin wurde Stefan P. zwar eine «mittelgradig pädophile Neigung» attestiert, er wird darin aber nicht als «Hochrisikotäter» beschrieben. Nach Einschätzungen der Gutachterin steige die Rückfallgefahr bei Stefan P. erst mittelfristig, womit er als therapierbar gelte.
Schaut man auf die Vorgeschichte von Stefan P., ergeben sich zu dieser Beurteilung Fragezeichen. Schon 2019 war der Mann einschlägig vorbestraft. 2008 verurteilte ihn ein Gericht im Kanton Freiburg ebenfalls wegen mehrfachen sexuellen Handlungen mit einem Kind zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten sowie einer ambulanten Therapie. Diese absolvierte Stefan P. über fünf Jahre hinweg. Offensichtlich ohne nachhaltigen Erfolg. Auch deshalb zog Staatsanwältin Zumsteg den Fall vom Bezirk- ans Obergericht. Sie sagte damals: «Das Risiko hat der Beschuldigte zu tragen, nicht die Gesellschaft.» Der Mann bleibe pädophil veranlagt und ihm fehle es an Einsicht und Empathie.
Mitglied der Rechtskommission des Nationalrats fordert Massnahmen
Verurteilt wurde Stefan P. schliesslich zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren und wieder zu einer ambulanten Therapie. Ende 2020 kam er, nach Verbüssen von Zweidritteln der Strafe, auf freien Fuss. Was das Aargauer Oberrichter aber auch verfügte, war ein zehnjähriges Berufsverbot für Tätigkeiten mit Kindern. Und genau das hätte die Anstellung als Verantwortlicher des Impfzentrums Altdorf verhindern müssen. Doch hier zeigen sich deutliche Schwächen im System. Weder Stefan P. hat seinen Arbeitgeber über die Massnahme informiert noch hat der Arbeitgeber einen Strafregisterauszug beantragt.

(Bild: ZvG)
SVP-Nationalrat Mauro Tuena ist Mitglied der nationalrätlichen Kommission für Rechtsfragen. Er zeigt sich schockiert. «Wie ist das möglich, dass diese Anstellung nicht verhindert wurde», sagt er kopfschüttelnd. «Die Sicherheit der Gesellschaft war gefährdet und das System hat offensichtlich komplett versagt.» Dabei ist am 1. Januar 2019 erst ein neues Gesetz in Kraft getreten. Seither gilt ein lebenslängliches Tätigkeitsverbot für pädophile Sexualstraftäter. Und zwar zwingend in jedem Fall. «Wenn die Behörden diese Massnahmen aber nicht umsetzen und kontrollieren, nützen die besten Gesetze nichts», sagt er und nimmt die zuständigen Stellen in die Pflicht.
Nach der Haft ins Contact Tracing
Stefan P. trat nach dem Gefängnisaufenthalt im Dezember 2020 zunächst eine Stelle als Contact Tracer an. Doch schon im März 2021 wurde er operativer Leiter des Impfzentrums in Horgen ZH. Nach dessen Schliessung im September 2021 wechselte er schliesslich nach Altdorf. Crime Schweiz kontaktierte die Firma, die das Impfzentrum vor Ort betreibt. Zum Fall wollte sich das Unternehmen aber nicht äussern.
Unfassbar dürfte das erneute Untersuchungsverfahren für die Opfer von Stefan P. sein. Bei den zweiten Übergriffen in Zofingen schreckte der Mann nicht davor zurück, sich an den Freunden seines eigenen Sohnes zu vergreifen. Sie spielten allesamt im Fussballclub Zofingen. Seither wird dem Mann per Rayon- und Kontaktverbot untersagt, sich den Opfern und seinen eigenen Kindern zu nähern.
*Name durch die Redaktion geändert.